Klub-Strukturen: Abkoppeln leicht gemacht

Viele Clubs sind darauf aus, mehr Mitglieder zu gewinnen. Gleichzeitig überlegen immer wieder Vereine, die ihre Lizenzspielerabteilung noch nicht ausgegliedert haben, dies nachzuholen, auch um sich vom Einfluss der Fans abzukoppeln. Der HSV war dafür nur das jüngste Beispiel. Dabei kann der Grad der Mitbestimmung auch anders reguliert werden.

Das war wohl nix: Eigentlich wollte der FC Schalke 04 bei seiner Jahreshauptversammlung Anfang Mai einen neuen Teilnehmerrekord aufstellen. Damit das klappt, hatte der Bundesligist einiges unternommen, extra den Termin auf den Tag seines 110. Geburtstags gelegt und ein buntes Rahmenprogramm unter anderem mit einem Auftritt der englischen Rockband Status Quo geboten. Der erhoffte Zuspruch blieb aus: Die rund 9000 Teilnehmer von der Jahreshauptversammlung im vergangenen Jahr wurden nicht übertroffen, es kamen diesmal nur 7077 Mitglieder in die Veltins Arena.

So blieb die Zahl der „Blau-Weißen“ aus dem Vorjahr erstmal bundesligaweiter Rekord – denn bei den anderen Bundesligisten ist die Beteiligungsquote bei Mitgliederversammlungen oft noch deutlich geringer. In aller Regel kommen zu der wichtigsten Zusammenkunft des Jahre im Verhältnis zur absoluten Mitgliederzahl keine zehn Prozent der Mitglieder. Das stetige Wachstum bei den Mitgliederzahlen lässt diese Quote sogar Jahr für Jahr sinken.

Sogar bei der Versammlung des HSV Ende Mai, für die wie nie zuvor von mehreren Lagern die Werbetrommel gerührt wurde, weil über die Strukturreform HSVplus abgestimmt wurde, kamen nur 9702 Stimmberechtigte – bei weit über 70 000 Mitgliedern wohlgemerkt, wovon mindestens 90 Prozent stimmberechtigt sein müssten.

Man stelle sich das mal bei der Bundestagswahl vor: Eine Beteiligung von zehn Prozent. Schon jetzt sprechen Politikwissenschaftler von einer fehlenden inneren Legitimation, weil die bei der Wahl 2013 ermittelten neuen Repräsentanten im deutschen Bundestag nur von knapp 56 Prozent der Bevölkerung zu ihrer politischen Vertretung per Stimmzettel auserkoren worden sind.

Mögliche Gründe für die mangelnde Beteiligung sind schnell gefunden. Wenn es nicht gerade um Ausnahmen wie aktuell beim HSV geht, sind Jahreshauptversammlungen vor allem eines: langweilig. Selbst Fans, die sonst bei jedem Heim- und Auswärtsspiel bei „ihrem“ Team dabei sind, überlegen es sich genau, ob sie sich wirklich die zahlreichen Reden und Tagesordnungspunkte antun müssen, und das über mehrere Stunden. Einen Sonntag kann man sicher schöner verleben. Hinzu kommt der Anreiseweg, der für die meist über das Land verstreuten Mitglieder oft weit ist. Und vielleicht noch das Gefühl, sowieso nichts beeinflussen zu können, weil die Vereinsführung zu mächtig ist und schon selbst die entscheidenden Fäden zieht.

Nicht zuletzt wird sich ein großer Teil der Fans nur zu einer Mitgliedschaft entschlossen haben, um einfach noch mehr mit dem Verein verbunden zu sein und zugleich in den Genuss von damit einhergehenden Vorteilen zu kommen; etwa beim Verkauf von raren Tickets.

Geringe Partizipation schlecht?

Aber ist eine geringe Beteiligung tatsächlich schlecht für die Vereine? Ist es nicht vielmehr gut und hilfreich, wenn möglichst wenige Mitglieder zu den Versammlungen kommen und den geplanten Ablauf nicht durch enervierende Zwischenrufe oder Wortmeldungen stören?

Zudem bedeuten weniger Teilnehmer auch weniger Kosten. Bei zweihundert Menschen muss nicht extra ein teurer Konferenzsaal angemietet werden.

Und eigentlich kann es doch nur im Interesse einer stringenten und seriösen Vereinsführung sein, wenn möglichst wenig Mitglieder versuchen, sich aktiv in die Vereinspolitik einzumischen. Oder nicht?

Thomas Spiegel, Direktor Medien, Kommunikation und PR vom FC Schalke 04, erklärt die Bemühungen für mehr Teilnahme bei Jahreshauptversammlungen so: „Wir wollten, dass sich mehr an der Vereinspolitik beteiligen, weil das unserem Selbstverständnis als Verein entspricht. Wir wollen eng an der Basis sein.“ Das klingt zunächst nach den üblichen PR-Phrasen. Doch Spiegel wird auf Nachfrage konkreter: Der direkte Austausch helfe, „ein gegenseitiges Verständnis zwischen Vereinsführung und Mitgliedern herzustellen“. Damit sollen Gräben zwischen Vorstand und Fans vermieden, oder schnell wieder überbrückt werden können. Es sei„gleich ganz was anderes, wenn ein Horst Held von Angesicht zu Angesicht erklärt, warum dieser oder jener Spieler geholt wurde, oder wenn Alexander Jobst berichtet, wie die Strategie beim Marketing aussieht.“

Das klingt als verstünde die Schalker Vereinsführung die Jahreshauptversammlungen in erster Linie als ein Mittel zur Verbesserung des Binnenverhältnisses zum Fan. Und nicht als eine Möglichkeit für die über 124 000 Mitglieder, die Entscheidungen und Strategie des Vereins zu beeinflussen.

Tatsächlich lässt sich das auch aus der Vereinssatzung herauslesen, wo die Einflussmöglichkeiten eines gewöhnlichen Mitglieds ohne besonderes Vereinsamt beim FC Schalke 04 begrenzt werden. Zwar ist der S04 noch immer ein eingetragener Verein, also ein e.V., und hat nicht wie so viele andere Clubs im deutschen Profifußball seine Lizenzspielerabteilung als eine GmbH oder vergleichbares ausgegliedert. Jedoch sagt das erstens nur wenig darüber aus, ob oder inwiefern die Vereinsmitglieder Einflussmöglichkeiten haben. Denn selbst bei einer Ausgliederung kann mit einer entsprechenden Satzung der Einfluss der Mitglieder des Muttervereins hoch sein. Und zweitens besitzt der Gelsenkirchener Verein eine Struktur, der eine gewisse Abkopplung von Vorstand und Mitgliedern inhärent ist: Die Vereinsmitglieder können den Vorstand nicht direkt wählen. Das geht nur indirekt über den Aufsichtsrat mit Clemens Tönnies an der Spitze, der den Vorstand kontrollieren soll und ihn ein- und abberufen kann. Laut Satzung werden sechs von maximal elf Aufsichtsräten direkt durch die Mitgliederversammlung gewählt.

Allerdings können nur jene Kandidaten in den Aufsichtsrat gehievt werden, die von einem weiteren Gremium, dem Wahlausschuss, zur Wahl zugelassen werden. Dieser Ausschuss kann nach eigenem Ermessen Kandidaten zulassen oder ablehnen. Das heißt: Wenn nur drei Kandidaten für zwei zu wählende Posten im Aufsichtsrat vorgeschlagen werden, die man als einzelnes Mitglied eigentlich gar nicht wählen will, hat man nur die Wahl, es sein zu bleiben oder dennoch mangels Alternativen für einen der Kandidaten zu stimmen. Genau dies passierte bei der Mitgliederversammlung im vergangenen Juni, als Tönnies in seinem Amt als Vorsitzender des Aufsichtsrats bestätigt wurde – zum großen Missfallen einiger Schalker Fans, die dem Wahlausschuss sogar Kumpanei mit dem Vorstand vorwarfen.

Ob dieser Vorwurf berechtigt ist, soll hier nicht beurteilt werden, festzuhalten bleibt: Die Mitglieder des Vereins FC Schalke 04 haben sehr wenig Einfluss auf die Zusammensetzung des Vorstands, der die operative Arbeit verantwortet und damit auch alle wichtigen Verträge. Immerhin: Die sieben Mitglieder des Wahlausschusses werden alle drei Jahre von der Mitgliederversammlung gewählt. Nur erscheint der Weg über den Wahlausschuss zum Aufsichtsrat und letztlich zum Vorstand ziemlich weit.

Schalke ist dabei nur ein Beispiel wie man es schafft, den Einfluss von Fans und gewöhnlichen Mitgliedern in gewissen Grenzen zu halten. Wobei der FC Schalke 04 seinen Mitgliedern trotz seiner Struktur durchaus noch direkte Einflussmöglichkeiten bietet: Zwar dürfte das Prozedere, um Anträge für die ordentliche Jahreshauptversammlung einzureichen, durchaus demotivierend und blockierend wirken, dennoch kann jedes Mitglied zumindest theoretisch und bei Berücksichtigung formaler Anforderungen wie etwa der Schriftform oder Einreichung bis zum 7. Januar des Jahres einen Antrag zur Änderung der Satzung einreichen. Über den dann die Mitgliederversammlung abzustimmen hat.

Und auch das Vetorecht des Aufsichtsrats gegen eingereichte Anträge kann ausgehebelt werden. In Paragraf 6. 1, Absatz 3 der Vereinssatzung heißt es dazu: „Die Mitgliederversammlung kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen vom Aufsichtsrat abgelehnte Anträge dennoch zur Aussprache und Beschlussfassung zulassen, sofern nicht formelle Gründe, andere Satzungsbestimmungen oder zwingendes, höheres Recht dagegen stehen.“

Der Wille, den Einfluss der Mitglieder auf die Clubführung zu regulieren und zu begrenzen, ist durchaus verständlich, wenn man sich so manche Mitgliederversammlungen ansieht, wo mitunter sachliche Argumentationen von überschäumenden Emotionen schlicht weggefegt werden. Wo Aufsichtsräte oder Vorstände aufgrund von Bierlaunen und nach hitzigen Debatten gewählt werden. Und nicht weil sie die meiste Kompetenz für den Job aufweisen konnten.

Auch könnte ein Argument für eine gewisse Abkopplung zwischen Vereinsführung und Mitgliedern lauten, dass es im hektischen Bundesliga-Geschäft möglich sein muss, den Sport-Vorstand fristlos zu entlassen, um durch einen neuen Mann einen Umschwung einleiten zu können. Müsste man in solch einer Situation erst eine Mitgliederversammlung einberufen, würden die vorgesehenen Fristen zu einer Verzögerung führen und möglicherweise zu negativen Folgen für die sportliche Entwicklung. Da ist es besser, wenn der Aufsichtsrat kurzen Prozess machen kann.

Ausgliederung nur eine Option von vielen

Erste Wahl bei dem Versuch, sich dem Einfluss der Mitglieder zu entziehen, scheint die Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung zu sein. Aktuell gibt es nur noch fünf eingetragene Vereine in der Bundesliga, wenn man den HSV bereits nicht mehr dazuzählt. 12 Clubs sind bereits den Weg gegangen, den auch der VfB Stuttgart irgendwann gehen will.

Wenn die Clubführung einen Weg findet, das ihren Mitgliedern als den richtigen Schritt zu vermitteln. Denn noch ist die VfB-Spitze um Präsident Bernd Wahler überaus auf das Wohlwollen der Basis angewiesen: Wahler und der gesamte Aufsichtsrat werden direkt von der Mitgliederversammlung gewählt. Zwar wird der Kandidat für das Präsidentenamt beim VfB vom Aufsichtsrat vorgeschlagen, wenn aber nicht die erforderliche Mehrheit zustande kommt, muss der Aufsichtsrat innerhalb von drei Monaten einen neuen Kandidaten vorstellen.

Aber ist eine Ausgliederung wirklich der richtige Schritt? Darüber streiten sich die Experten. So kommt etwa der Sportökonom Henning Vöpel vom Hamburgerischen Weltwirtschaftsinstitut in einer Analyse zur Strukturdiskussion beim HSV zu einem ambivalenten Fazit. Auch wenn Vereinsstrukturen womöglich zu konsensorientierten Entscheidungen führen würden, die beständig Mittelmaß produzieren und Unternehmensstrukturen eher zur Folge hätten, dass Konzepte aus einem Guss umgesetzt werden können, so komme es letztlich auf die handelnden Personen an. Und nicht darauf, ob der Club eine ausgegliederte Lizenzspielerabteilung hat oder ein e. V. ist. „Schlechte Strukturen können Kompetenz zerstören, gute Strukturen aber niemals Kompetenz ersetzen. Am Ende müssen die Strukturen von fähigen Leuten ausgefüllt werden“, sagt Vöpel.

Nicht wenige Beobachter meinen, genau daran krankt es beim HSV; an kompetenten Personen in der Vereinsführung. Möglicherweise ist dieser Mangel durch die bisherige Struktur verschuldet. Weil zu viele mitgeredet haben. Und vielleicht kann die geplante Ausgliederung dafür sorgen, dass der Grad an Inkompetenz mit einem Schlag sinkt. Weil dann die Mehrheit den Willen formuliert hat, dass dem Einfluss der bislang so mächtigen Mitgliederversammlung Grenzen gesetzt werden soll.

Jedoch wird auch die angestrebte Strukturreform nicht dazu führen, dass die Clubleitung völlig vom Mutterverein abgenabelt ist. Das schreibt die 50+1-Regel vor. Dank dieser Vorschrift steht dem Vereinsvorstand – der von der Mitgliederversammlung gewählt wird – die Vertretung des eingetragenen Vereins auf der Gesellschafterversammlung der Kapitalgesellschaft zu. Er kann somit Einfluss auf die Ausrichtung der Tochtergesellschaft ausüben. Dank der 50+1-Regel besitzt der Vereinsvorstand immer die Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung, sodass dort theoretisch kein Beschluss ohne dessen Zustimmung getroffen werden kann.

Jedenfalls zunächst. Denn die 50+1-Regel wurde durch eine Klage von Hannover 96 stark aufgeweicht. Mittlerweile ist es jedem Klub erlaubt, es Bayer 04 Leverkusen und dem VfL Wolfsburg nachzumachen. Die beiden Clubs waren bis zu einem Beschluss des Ständigen Schiedsgerichts 2011 die einzige Ausnahme von der 50+1-Regel und hatten dank einer Sondergenehmigung ihre Lizenzspielerabteilung zu 100 Prozent vom Mutterverein abspalten dürfen. Die durch Hannover 96 erwirkte neue Ausnahmeregelung sieht nun vor, dass Sponsoren, die einen Verein durchgängig über zwanzig Jahre in relevantem Maße gefördert haben, über 50 Prozent und bis zu 100 Prozent der Stimmanteile erwerben können.

Satzung eröffnet viele Chancen

Es gibt allerdings deutlich leichtere Wege, die Einflussmöglichkeiten der Mitglieder zu begrenzen und den Handlungsspielraum für die Clubführung zu vergrößern – auch ohne eine Ausgliederung oder den Verkauf von Stimmanteilen an einen Sponsor. Der sanfteste Weg ist wohl das Ausnutzen der Medienmacht durch die Clubführung: Kaum eine Zeitung, TV- oder Radio-Sender wird wohl widerstehen können, wenn der Präsident oder Aufsichtsratchef zu einem Interview anlässlich bevorstehender Satzungsänderungen oder Jahreshauptversammlungen einlädt. Auch wenn hierbei immer ein hohes Maß an Sensibilität beim Vorgehen zu empfehlen ist – denn wird der Schachzug durchschaut, könnte sich der Effekt ins Gegenteil verkehren.

Schwieriger ist es, den Weg über die Vereinssatzung zu gehen. Eine Änderung der Satzung müssen in aller Regel drei Viertel der anwesenden Mitglieder zustimmen. Dennoch kann es sich lohnen, wenn eine gewisse Abkopplung beabsichtigt wird. Das zeigt sich nicht nur am beschriebenen Beispiel vom FC Schalke 04. Denn so geduldig wie Papier ist, können auch in eine Satzung vielerlei Begrenzungen des Mitgliedereinflusses hineinformuliert werden.

Wie weit diese Grenzen gehen, inwieweit Filter und Schutzwälle zwischen Clubführung und Mitgliedern implementiert werden – das muss das komplexe soziale Gefüge, das ein Verein mitsamt Vorstand, Fans, Mitgliedern, Sponsoren und externen Geldgebern bildet, letztlich für sich selbst entscheiden. Und dabei immer wieder mit den sich dynamisch verändernden Verhältnissen und Anfordernissen abgleichen.

 

Dieser Text wurde in einer etwas anderen Version in der aktuellen Juni-Ausgabe des Magazins SPONSORs veröffentlicht (dort mit zusätzlichen Tabellen und Grafiken).

(Bildquelle: HSV)

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